PD-Modell als Blaupause? Sozialrecht kennt keine 0,01 % Tricks

Tisch mit Aufsteller "PD – die ausreichende Beteiligung" und zwei Dokumenten, eines davon mit der Überschrift "Urteil BSG" und der Angabe "50 %".
PD & BSG-Urteil zu Beteiligung: Foto von OpenAI / DALL-E (generiert mit KI)
Was bei der Berliner Beratungsgesellschaft PD als juristischer Kunstgriff durchgeht, könnte im Sozialrecht grandios scheitern. Der Beitrag nimmt die überraschende Logik hinter der „Inhouse-Kontrolle“ auseinander und stellt die provokante Frage: Wenn der Staat mit Mini-Beteiligungen die Vergaberegeln aushebelt – warum sollte ein Geschäftsführer mit 1 Prozent Anteil nicht ebenfalls als selbstständig gelten? Ein Gedankenspiel zwischen Vergaberecht und Sozialversicherung, das zeigt: Kontrolle ist nicht gleich Kontrolle.

PD als Vorbild für Geschäftsführer?

Wenn eine 0,01-Prozent-Beteiligung der öffentlichen Hand ausreicht, um eine GmbH inhousefähig zu machen, wieso sollte dann ein Minderheitsgesellschafter in der Privatwirtschaft nicht ebenfalls als Herr im Haus gelten?“ – Diese Frage drängt sich auf, wenn man das Konstruktionsexperiment rund um die Berliner Beratungsgesellschaft „PD – Berater der öffentlichen Hand GmbH“ auf die Urteile des Bundessozialgerichts (BSG) zur Sozialversicherungspflicht von GmbH-Geschäftsführern überträgt.

Das BSG hat – in seinen Entscheidungen vom 01.02.2022 (B 12 KR 37/19 R) und 13.12.2022 (B 12 KR 16/20 R) – unmissverständlich klargestellt, dass ein Geschäftsführer ohne mindestens 50-Prozent-Beteiligung oder umfassende Sperrminorität regelmäßig als abhängig beschäftigt gilt. Er unterliegt somit der Sozialversicherungspflicht. Allein die Existenz eines Aufsichtsrats oder besondere Mitwirkungsrechte änderten daran nichts, so die strenge Haltung der obersten Sozialrichter.

Demgegenüber erscheint die Praxis der PD in einem anderen Licht: Dort genügen offenkundig minimalste Gesellschaftsanteile von 0,01 Prozent, um eine „ähnliche Kontrolle wie über eigene Dienststellen“ – so verlangt es das Inhouse-Vergaberecht – rechtlich zu konstruieren. Wieso sollte das nicht auf die Sozialversicherungspflicht durchschlagen? Wenn sich der Staat beim Thema Vergaberecht so weit aus dem Fenster lehnt und selbst 0,01-Prozentlern das Etikett verleiht, gemeinsam die Geschicke steuern zu können, sollte dann nicht analog auch ein privatwirtschaftlicher Geschäftsführer, der eben nur ein kleines Aktien- oder Gesellschaftsanteilspaket hält, für sich reklamieren dürfen, dass er dieselbe „Kontrolle“ besitzt wie ein Alleingesellschafter?

Natürlich ist dies zugespitzt formuliert. Doch in Zeiten, in denen viele Mittelständler und Start-ups scharf auf flexible Beteiligungsmodelle sind, kann man sich des gedanklichen Experiments kaum erwehren. Das Paradebeispiel PD könnte als Augenöffner dienen – man lernt vom Staat, was gemeinschaftliche Kontrolle alles bedeuten kann. Oder doch nicht?

Die BSG-Grundsätze: Klarer Schnitt zwischen Mehrheit und Abhängigkeit

Die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts in Sachen Sozialversicherungspflicht mutet recht eindeutig an. Dort heißt es sinngemäß: Nur wer tatsächlich eine „umfassende Rechtsmacht“ über die Geschicke der GmbH besitzt, gilt als selbstständig und muss sich nicht in der gesetzlichen Rentenversicherung einordnen. Wer also weniger als 50 Prozent der Anteile hält und auch keine effektive Sperrminorität vorweisen kann, soll als Arbeitnehmer gelten – ungeachtet etwaiger Auseinandersetzungen in der Gesellschafterversammlung.

In den erwähnten Urteilen liest man markante Sätze wie:

Allein die Einrichtung eines Aufsichtsrats … führt nicht zu mehr … Rechtsmacht … Der Minderheitsgesellschafter-Geschäftsführer bleibt weisungsabhängig.

Oder:

Selbst wenn … eine Sperrparität in der Gesellschafterversammlung besteht, ist er nicht bereits deswegen selbstständig. Es fehlt an einer umfassenden Gestaltungsmacht

Deutlicher kann ein Gericht kaum werden. Die Sozialrichter zeichnen eine strikte Linie: Weniger als 50 Prozent? Dann bist du von den Mitgesellschaftern abhängig. Hinter diesem Dogma verbirgt sich der Gedanke: Wer nicht tatsächlich selbst schalten und walten kann, steckt in einem weisungsabhängigen Anstellungsverhältnis und soll dort versichert werden.

Das Gegenstück: 0,01 Prozent für den Inhouse-Zauber?

Nun tritt die PD auf den Plan. Sie wird landauf, landab beauftragt, ohne Ausschreibungen durchlaufen zu müssen. Die Begründung: Eine sogenannte Inhouse-Vergabe greift nur dann, wenn die öffentliche Hand eine „ähnliche Kontrolle“ über das Unternehmen ausübt wie über eine eigene Behörde – so will es der europäische Gerichtshof (EuGH) und das deutsche GWB. Zusätzlich darf kein privates Kapital an Bord sein und das Unternehmen muss im Wesentlichen für seine öffentlichen Gesellschafter tätig werden.

Doch bei PD halten etliche Städte, Länder oder andere Körperschaften nur verschwindend geringe Anteile. Mit der berühmten 0,01-Prozent-Beteiligung ziehen sie formal in die Gesellschafterversammlung ein und üben – so die Theorie – gemeinsam mit Hunderten anderen öffentlichen Anteilseignern die „Herrschaft“ aus. Diese Konstruktion könnte man nun spöttisch als „Feigenblatt-Beteiligung“ bezeichnen. Oder als cleveren Kunstgriff, der die rigide 50-Prozent-Grenze, die das Bundessozialgericht so vehement verteidigt, elegant umgeht.

PD selbst verweist freilich auf umfangreiche Klauseln im Gesellschaftsvertrag, die den Aufsichtsrat und die Gesellschafterversammlung mit Zustimmungsvorbehalten versehen. Die Geschäftsführung kann kaum etwas ohne Segen der öffentlichen Hand entscheiden. In der Summe sollen also auch Kleinstbeteiligte eingebunden sein.

Der Staatszauber als Blaupause für die Privatwirtschaft?

Angenommen, ein privatwirtschaftlicher Geschäftsführer versucht, die staatliche Argumentationslinie zu kopieren. Er sagt: „Ich halte zwar nur 10 Prozent – oder gar nur 1 Prozent – an meiner Gesellschaft, doch mein Gesellschaftsvertrag schreibt ausdrücklich vor, dass ich für alle strategischen Entscheidungen die Zustimmung eines Aufsichtsrats brauche, dem ich ebenfalls angehöre. Außerdem kann ich jede größere Kreditaufnahme oder Investition blockieren.

Wenn man das 1- oder 10-Prozent-Konstrukt durch den BSG-Maßstab hält, wäre das Urteil fast sicher: Abhängige Beschäftigung. Doch aus der Sicht einer PD-ähnlichen Konstruktion könnte man argumentieren: „Ja, aber wir haben es so in unsere Statuten geschrieben, dass ich genauso viel Macht habe wie ein Mehrheitseigner. Schaut her, wir haben Mechanismen ähnlich der PD, wo selbst 0,01-Prozent-Gesellschafter noch mitbestimmen.

Warum also sollte das, was im Vergaberecht plötzlich reichen soll, nicht auch im Sozialrecht gelten? Ist nicht Kontrolle gleich Kontrolle – egal ob Vergabe- oder Sozialrecht?

Wie das Vergaberecht und das Sozialrecht auseinanderdriften

Ein naheliegender Erklärungsansatz: Die beiden Rechtsgebiete folgen teils gänzlich unterschiedlichen Zwecken. Das Vergaberecht verlangt einen möglichst effizienten und wettbewerbskonformen Umgang mit Steuergeldern. Eine Inhouse-Vergabe ist nur erlaubt, wenn die öffentliche Hand tatsächlich „ihr eigenes Haus“ beauftragt. Der EuGH ließ in mehreren Urteilen zu, dass sich diese „hausinterne Kontrolle“ auch aus einem Zusammenspiel vieler kleiner öffentlicher Gesellschafter ergeben kann.

Das Sozialrecht hingegen zielt auf den Schutz des Arbeitnehmers ab. Wer faktisch Weisungen empfangen muss, soll sozial abgesichert sein. Ein Verweis auf die gemeinsame Kontrolle durch andere Gesellschafter hilft dem Minderheits-Geschäftsführer hier wenig, weil er seine persönliche Machtposition darlegen muss. Wenn er bei der Stimmabgabe in der Unterzahl ist oder wenn er selbst von Beschlüssen anderer Mitgesellschafter abhängig bleibt, dann gilt er eben als abhängig Beschäftigter.

Die PD-Logik – dass Hunderte Gesellschafter zusammengenommen den Ton angeben – ist für den einzelnen Geschäftsführer nutzlos, um eine Sozialversicherungsfreiheit zu reklamieren. Denn selbst wenn diese Konstruktion vergaberechtlich als „gemeinsame Kontrolle“ taugt, sagt das Sozialrecht: „Das hilft dir nur, wenn du selbst über eine Sperrminorität verfügst, durch die du jederzeit die Richtung des Unternehmens mitbestimmen und Weisungen blockieren kannst.

Lehren für die Privatwirtschaft – und ein spitzfindiges Fazit

Trotzdem ist die Diskrepanz faszinierend. Ein wohlwollender Betrachter könnte die PD-Praxis als Inspiration werten: „Vielleicht lässt sich ein Gesellschaftsvertrag so gestalten, dass der einzelne Minderheitsgesellschafter-Geschäftsführer ein Maximum an Blockade- und Weisungsrechten erhält, was einem 50-Prozent-Anteil praktisch gleichkommt.

Welche Elemente müsste man übernehmen, um selbstbewusst zum Sozialversicherungsträger zu gehen und zu behaupten: Ich bin kein Arbeitnehmer?

  1. Umfassende Zustimmungsvorbehalte: Den Gesellschaftsvertrag mit Klauseln spicken, die dem Geschäftsführer oder einer mit ihm verbundenen Gremienkonstellation das Vetorecht bei nahezu allen bedeutenden Entscheidungen sichern.
  2. Weisungsrecht an die Geschäftsführung „von oben nach unten“ kehren: Wenn der Geschäftsführer dieses Recht mitgestaltet, ist er nicht Empfänger, sondern Geber von Weisungen.
  3. Geringe Kapitalbeteiligung?: Die PD zeigt, dass selbst 0,01 Prozent in der Theorie eine Mitsprache konstruieren kann – allerdings nur, wenn sämtliche anderen Kleinstbeteiligten an einem Strang ziehen. In der Privatwirtschaft dürfte das seltener gelingen.

Doch das BSG macht allen Versuchen klaren Prozess: „Allein die Einrichtung eines Aufsichtsrats … führt nicht zu mehr … Rechtsmacht.Der Minderheitsgesellschafter ohne eigene Sperrminorität bleibe „weisungsabhängig“. Selbst eine formale Sperrparität in der Gesellschafterversammlung reiche nicht, wenn der Betreffende in der täglichen Unternehmensführung den Weisungen anderer folgt.

Mit Blick auf PD könnte man also sarkastisch sagen: Für das Vergaberecht feiert man 0,01-Prozent-Beteiligungen als „Beweis“ einer staatlichen Gesamtbeherrschung. Für das Sozialrecht gilt hingegen der strikte 50-Prozent-Grundsatz. Wer bei 49,9 Prozent steht, hat Pech – es sei denn, er weist andere, sehr umfassende Vetorechte nach, die mehr oder minder einer faktischen Mehrheit gleichkommen.

Ein Spagat zwischen zwei Rechtswelten

Das lehrreiche Auseinanderdriften von „Inhouse-Kontrolle“ und „sozialversicherungsrechtlicher Unabhängigkeit“ ist keineswegs nur ein juristischer Kuriositätenfall. Es zeigt, wie verschiedene Rechtsgebiete dasselbe Wort – „Kontrolle“ – mit völlig anderen Inhalten füllen. Der Staat demonstriert bei PD, dass er sich mit einer Unzahl verschwindend geringer Beteiligungen eine gemeinschaftliche Entscheidungsgewalt zuschreibt. Im Sozialrecht würde dieselbe Konstruktion nicht einmal annähernd für eine Befreiung von der Versicherungspflicht reichen.

Was kann die Privatwirtschaft daraus lernen? Vielleicht, dass man aufpassen muss, nicht in falschen Analogien zu schwelgen. Wer als Geschäftsführer seine Stellung beim Sozialversicherungsträger prüfen lässt, kann sich kaum auf „PD-Argumente“ berufen. Dazu sind die strukturellen Bedingungen zu unterschiedlich – ganz abgesehen von den hoheitlichen Prämissen, die hinter Inhouse-Vergaben stehen.

Dennoch bleibt ein gewisser Widerspruch: Wo das Vergaberecht 0,01 Prozent „Kontrolle“ annimmt, fordert das Sozialrecht 50 Prozent. Eine logische Erklärung: Wettbewerbssicherung und Arbeitnehmerschutz greifen in verschiedene Richtungen – und so bleibt das Regelsystem eben gespalten.

Dass ein cleverer Kopf irgendwann versucht, die PD-Rhetorik zur Sozialversicherungsfreiheit umzufunktionieren, ist nicht ausgeschlossen. Ob er vor dem BSG Erfolg hätte, ist hingegen mehr als zweifelhaft. Zumindest zeigt der bislang unverrückbare Grundsatz der Sozialrichter, dass man in diesem Land leichter an den Vergaberegeln vorbeikommt als an der Sozialversicherungspflicht. Vielleicht wäre es daher besser, das PD-Modell als reinen Spezialfall zu betrachten, bevor man eine ganze Front privater GmbH-Geschäftsführer in die vermeintliche Freiheit lockt.

Kurzum: Wer meint, „Von der PD lernen heißt siegen lernen“, dürfte beim BSG schnell eines Besseren belehrt werden. Die 0,01-Prozent-Beteiligung ist vergaberechtlich ein netter Trick, aber sozialrechtlich dürfte sie chancenlos bleiben. So verschafft das Zusammenspiel beider Rechtsgebiete der deutschen Unternehmenslandschaft eine unerwartete Lektion: Nicht jede Konstruktion, die den Staat befreit, taugt auch, den Einzelnen von lästigen Versicherungsbeiträgen zu erlösen.

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