Architekten, Bauleiter, IT-Profis – Gefangen im Arbeitsrecht?

Baustelle an einem Kanal in Berlin Neukölln
Baustelle an einem Kanal in Berlin Neukölln: © iStock / JARAMA
Gilt ein hochqualifizierter Bauleiter, unabhängig davon, ob er selbstständig oder angestellt ist, als Leiharbeitnehmer, wenn er für einen Bauherrn tätig wird? Die Deutsche Rentenversicherung (DRV) prüft Selbständige streng – doch wo verläuft die Grenze zwischen Selbständigkeit und verdeckter Anstellung? Wir testen den Fragebogen C0031 der DRV Bund mit einem Bauleiter und stoßen auf eine juristische Grauzone. Die Bundesregierung schweigt, doch die Konsequenzen für Unternehmen und Selbständige sind gravierend.

Baustelle oder Backend? Warum Projektsteuerung überall gleich kritisch ist

Wenn der Entwurf steht, die Genehmigungen erteilt sind und die Bagger anrollen, beginnt die wohl intensivste und kritischste Phase eines Bauprojekts: die Objektüberwachung. In der Leistungsphase 8 nach HOAI (Honorarordnung für Architekten und Ingenieure) liegt die Verantwortung des Bauleiters nicht nur in der Kontrolle von Baufortschritt und Qualität, sondern auch in der Steuerung eines hochkomplexen Zusammenspiels aus Fachfirmen, Behörden und Bauherrninteressen. Er ist der Taktgeber auf der Baustelle, das letzte Bollwerk gegen Pfusch und Verzögerungen – und oft genug derjenige, der zwischen allen Beteiligten vermitteln muss, wenn es zu Problemen kommt.

Doch wie ist ein Bauleiter in dieser Phase eigentlich organisiert? Arbeitet er eigenständig oder wird er eng in die Strukturen des Auftraggebers eingebunden? Bestehen Weisungsbefugnisse gegenüber Handwerkern oder sogar gegenüber Mitarbeitern des Bauherrn? Und wer trägt letztlich die Verantwortung, wenn Fehler auftreten?  Genau diese Fragen stellen sich nicht nur auf der Baustelle, sondern auch in einem anderen Umfeld: der IT-Branche. Denn ob Hochbau oder Softwareentwicklung – beides erfordert strikte Planung, Koordination und Qualitätskontrolle.

Um das genauer zu beleuchten, werfen wir einen Blick auf den Fragebogen C0031 der Deutschen Rentenversicherung, mit dem sie die Abgrenzung zwischen selbständiger Tätigkeit und abhängiger Beschäftigung prüft. Wir wagen ein Experiment: Was passiert, wenn wir die Aufgaben eines Bauleiters in diesen Fragebogen eintragen? Die Parallelen zwischen Baustelle und IT-Projekt sind unübersehbar – nur dass die Bausubstanz in der digitalen Welt aus Code statt Beton besteht.

1 Einweisung, Aufgaben und Koordination

1.1 Wie erfolgt die Einweisung/Einarbeitung in die Tätigkeit?

  • Einweisung erfolgt durch den Auftraggeber in Form einer Projektbesprechung mit Übergabe der relevanten Unterlagen (Bauzeitenplan, Leistungsverzeichnis, Planunterlagen).
  • Regelmäßige Abstimmungen mit dem Bauherrn und Fachplanern zur Klärung spezifischer Anforderungen.
  • Übergabe der technischen und organisatorischen Vorgaben für die Bauüberwachung.
Indiz: Detaillierte Vorgaben zur Arbeitsausführung (C0031 – 5.1)

1.2 Wer übernimmt die Koordination bzw. Projektleitung? Werden Weisungen erteilt?

  • Der Auftraggeber stellt einen Projektleiter oder Bauherrenvertreter, der die Gesamtkoordination übernimmt.
  • Der Bauleiter stimmt sich regelmäßig mit Fachplanern, Handwerkern und Behörden ab.
  • Weisungen erfolgen durch den Bauleiter an die ausführenden Unternehmen, jedoch nicht an die Mitarbeiter des Auftraggebers.
Indiz: Weisungsbefugnis durch Projektleitung (C0031 – 6.3)

1.3 Mit wem arbeitet der Auftragnehmer zusammen? Wer koordiniert die Zusammenarbeit?

  • Zusammenarbeit mit Bauherrn, Fachplanern (Statiker, Haustechnik, Brandschutz), Handwerksfirmen, Behörden und Prüfstatikern.
  • Koordination erfolgt durch den Bauleiter in Abstimmung mit dem Auftraggeber und den Fachplanern.
Indiz: Vorarbeiten durch Beschäftigte des Auftraggebers (C0031 – 6.2)
Indiz: Weisungsbefugnis bei Zusammenarbeit mit Auftraggeber-Beschäftigten (C0031 – 6.3)

2 Arbeitszeit und Anwesenheitspflichten

2.1 Besteht eine Meldepflicht für Beginn, Unterbrechung oder Ende der Tätigkeit?

  • Arbeitsbeginn und Abwesenheiten werden mit dem Bauherrn abgestimmt.
  • Einhaltung des Bauzeitenplans wird durch Bautagebuch und Berichterstattung dokumentiert.
Indiz: Dienst-Einsatzpläne und Zeiterfassung (C0031 – 4.1)
Indiz: Meldepflicht für Abwesenheiten (C0031 – 4.2)

2.2 Wie sind die Regelungen bei längerer Abwesenheit (z.B. Urlaub oder Krankheit)?

  • Der Bauleiter informiert den Auftraggeber frühzeitig über längere Abwesenheiten.
  • Ersatzregelung durch einen Vertreter, falls erforderlich.
Indiz: Meldepflicht für Abwesenheiten (C0031 – 4.2)
Indiz: Genehmigung von Urlaub durch den Auftraggeber (C0031 – 4.3)

2.3 Sind Ruf- und Bereitschaftsdienste vereinbart?

  • Der Bauleiter muss für dringende Fälle (Baustellenprobleme, Unfälle, behördliche Prüfungen) jederzeit erreichbar sein.
  • In kritischen Bauphasen kann eine erhöhte Präsenz erforderlich sein.
Indiz: Vorgaben zu Erreichbarkeit (C0031 – 4.1)

3 Besprechungen und Berichtspflichten

3.1 Sind regelmäßige Berichte für den Auftraggeber zu erstellen?

  • Wöchentliche oder zweiwöchentliche Berichte über den Baufortschritt, Mängel und Störungen.
  • Dokumentation in Form von Bautagebüchern und Fotodokumentationen.
Indiz: Regelmäßige Kontrolle der Arbeitsergebnisse (C0031 – 5.3)

3.2 Wie oft finden Projektbesprechungen statt? Besteht Anwesenheitspflicht?

  • Wöchentliche oder zweiwöchentliche Baubesprechungen mit Bauherrn, Planern und ausführenden Firmen.
  • Protokollierung durch den Bauleiter.
Indiz: Teilnahme an Dienstbesprechungen (C0031 – 6.5)

3.3 Findet eine Kontrolle oder Abnahme der Arbeit durch den Auftraggeber statt?

  • Der Bauleiter prüft die ausgeführten Arbeiten und koordiniert die Abnahmen mit dem Bauherrn.
  • Feststellung und Dokumentation von Mängeln.
Indiz: Regelmäßige Kontrolle der Arbeitsergebnisse (C0031 – 5.4)

4 Zusammenarbeit mit Mitarbeitern des Auftraggebers

4.1 Arbeitet der Auftragnehmer mit Beschäftigten des Auftraggebers oder Kunden zusammen?

  • Zusammenarbeit mit festangestellten Mitarbeitern des Bauherrn (Projektleiter, Controlling, Bauherrenvertretung).
  • Enge Abstimmung mit Behörden und Prüfstatikern.
  • Weisungsbefugnis gegenüber ausführenden Firmen, nicht gegenüber Auftraggeber-Mitarbeitern.
Indiz: Vorarbeiten durch Auftraggeber-Mitarbeiter (C0031 – 6.2)
Indiz: Weisungsbefugnis gegenüber Beschäftigten des Auftraggebers (C0031 – 6.4)

4.2 Sind beim Auftraggeber festangestellte Mitarbeiter mit ähnlichen Aufgaben tätig?

  • Auftraggeber hat oft eigene Bauleiter oder Projektmanager, die den externen Bauleiter koordinieren.
  • Unterschiedliche Verantwortlichkeiten: Der externe Bauleiter überwacht die Baustelle, während der interne Projektmanager Verträge und Budgets steuert.
Indiz: Beschäftigte mit vergleichbarer Tätigkeit beim Auftraggeber (C0031 – 6.1)

5 Auftragsumfang und Weisungsrecht

5.1 Kann der Auftraggeber die Aufgabenstellung während des Einsatzzeitraums einseitig ändern?

  • Anpassung des Leistungsumfangs kann erfolgen (z. B. zusätzliche Überwachung von Nachträgen oder Sonderleistungen).
  • Änderungen müssen vertraglich vereinbart werden.
Indiz: Einseitige Änderung der Aufgaben durch den Auftraggeber möglich (C0031 – 5.2)

6 Haftung und Verantwortung

6.1 Wie ist die Haftung für erbrachte Leistungen geregelt?

  • Der Bauleiter haftet für Fehler in der Bauüberwachung, jedoch nicht für die mangelhafte Ausführung durch Firmen.
  • Auftraggeber haftet für Mängel, wenn Anweisungen fehlerhaft oder nicht eindeutig waren.
Indiz: Auftraggeber haftet bei Mängeln (C0031 – 9.5)

Eine Baustelle: Wie sich die Bundesregierung um die Frage der Scheinselbständigkeit drückt

Es ist eine einfache, aber brisante Frage: Wie kann es in Deutschland rechtskonform möglich sein, dass Unternehmen komplexe Dienstleistungen erbringen, ohne dass eine verdeckte Arbeitnehmerüberlassung unterstellt wird? Eine Frage, die nicht nur IT-Dienstleister beschäftigt, sondern auch Architekten und Bauleiter – zentrale Akteure in der Baubranche, die tagtäglich auf Baustellen Projekte steuern, koordinieren und überwachen.

Wir wenden uns am 5. Februar 2025 an die Bundesregierung, vertreten durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) und die Parlamentarische Staatssekretärin Kerstin Griese. Im Kern geht es um eine entscheidende juristische Überschneidung: Die Kriterien für eine abhängige Beschäftigung (§ 7 SGB IV) und für eine Arbeitnehmerüberlassung (§ 1 AÜG) sind identisch – Weisungsgebundenheit und Eingliederung. Bedeutet das, dass jede von der Deutschen Rentenversicherung Bund (DRV Bund) festgestellte abhängige Beschäftigung (Scheinselbständigkeit) bei angestelltem Personal eines Dienstleisters als verdeckte Arbeitnehmerüberlassung gewertet wird? Und wenn ja – was bedeutet das für ganze Branchen, in denen projektbezogen gearbeitet wird?

Am 25. Februar 2025 erhalten wir eine Antwort. Doch nicht von Frau Griese. Ein Referent aus dem BMAS (Referat IV a 2 – Grundsatzfragen der Sozialversicherung) teilt uns höflich mit: „Die Parlamentarische Staatssekretärin hat mich gebeten, Ihnen zu antworten.“ Doch auf unsere eigentliche Frage – der Erbringung von komplexer Dienstleistung am Beispiel eines Architekten oder Bauleiters – geht er mit keinem Wort ein. Ein Schweigen, das Bände spricht.

Szenenwechsel: Ein Abgeordneter aus dem Bundestag fragt die Bundesregierung

Auf eine schriftliche Frage eines Abgeordneten zu dem Urteil des LSG BW mit Aktenzeichen L 8 BA 1374/20 zur agilen Projektarbeit antwortete die Parlamentarische Staatssekretärin Kerstin Griese im Namen der Bundesregierung in der Woche vom 20. Januar 2025 in Drucksache 20/14639 vom Deutschen Bundestag.

Welche Kriterien sind aus Sicht der Bundesregierung im Rahmen agiler digitaler Arbeitsprozesse heranzuziehen, um zu entscheiden, ob ein Beschäftigungsverhältnis selbständig oder abhängig erfolgt, und welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus der Rechtsprechung (Urteil vom 17. Dezember 2021, L 8 BA 1374/20), wonach das Kriterium der Eingliederung (vgl. § 7 Absatz 1 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch) bei digitalen, agilen Arbeitsprozessen ungeeignet ist und einer Weiterentwicklung bedarf?

Nach § 7 Absatz 1 Satz 1 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IV) ist Beschäftigung die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers (§ 7 Absatz 1 Satz 2 SGB IV). Maßgebend für die Einstufung, ob eine abhängige Beschäftigung oder eine selbständige Tätigkeit vorliegt, ist nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts eine Gesamtbetrachtung des Einzelfalls. Dies gilt für jede Tätigkeit. Eine pauschale Einstufung etwa bestimmter Berufsgruppen erfolgt nicht. Die gesetzlich vorgesehene Abgrenzung abhängiger Beschäftigung von selbständiger Tätigkeit ist flexibel und offen im Hinblick auf die Vielgestaltigkeit heutiger Erwerbsformen und zukünftige neue Entwicklungen. Dies belegt die in der Fragestellung zitierte rechtskräftige Entscheidung des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 17. Dezember 2021 (L 8 BA 1374/20), in der im konkreten Fall Selbständigkeit festgestellt wurde.

Die Auslegung des § 7 SGB IV und die Entscheidung im Einzelfall obliegt dem zuständigen Sozialversicherungsträger und im Streitfall den Sozialgerichten.

Bestehen Zweifel, ob eine abhängige Beschäftigung oder eine selbständige Tätigkeit vorliegt, können sich die Beteiligten mit dem optionalen Statusfeststellungsverfahren (§ 7a SGB IV) frühzeitig Rechtsklarheit über den Rechtscharakter ihrer Vertragsbeziehung verschaffen. Dieses Verfahren dient einer schnellen und sachgerechten Klärung der Statusfrage

Ein System voller Widersprüche – und keine Antwort in Sicht

Die fehlende Antwort des BMAS auf unsere Frage zu komplexen Dienstleistungen ist mehr als nur eine formale Höflichkeit – sie ist ein Symptom für ein strukturelles Problem. Wenn die Bundesregierung selbst keine klare Linie ziehen kann, wie sollen dann Unternehmen und Selbständige wissen, wann sie sich in rechtssicherem Fahrwasser bewegen?

Das Experiment mit dem Fragebogen C0031 der DRV Bund hat gezeigt, wie schnell sich eine komplexe Dienstleistung in ein juristisches Minenfeld verwandeln kann. Ein Bauleiter, der für ein Ingenieurbüro tätig ist – also ein hochqualifizierter Experte, der Baustellen koordiniert, Termine überwacht und Mängel dokumentiert –, kann plötzlich als abhängig Beschäftigter gelten. Und wenn das so ist, dann rückt automatisch der Verdacht der verdeckten Arbeitnehmerüberlassung in den Raum.

Was bedeutet das für die deutsche Wirtschaft? Wie sollen hochspezialisierte Dienstleistungen erbracht werden, wenn jede Form der Zusammenarbeit mit Weisungsgebundenheit und Eingliederung gleichgesetzt wird? Das BMAS oder besser noch die Bundesregierung bleibt uns diese Antwort schuldig. Und während auf Baustellen das Fundament für die Zukunft gegossen wird, bleibt das rechtliche Fundament für moderne Arbeitsstrukturen in Deutschland brüchig.

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