Externe Impulse – das BMAS und sein Experiment mit der Verwaltungsinnovation
Seit 2020 beteiligt sich das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) regelmäßig am sogenannten Work4Germany-Fellowship – einem Programm der bundeseigenen DigitalService GmbH, das Innovationstalente aus der Privatwirtschaft zeitlich befristet in die Bundesverwaltung bringt. Ziel sei, so der DigitalService, ein „interdisziplinärer Wissenstransfer“ und die „gemeinsame Weiterentwicklung der Arbeitskultur in der öffentlichen Verwaltung“. Auch das BMAS lässt sich seit Jahren durch externe Fellows bei Projekten unterstützen – etwa zur Einführung agiler Methoden oder zur Digitalisierung von Gesetzgebungsprozessen. In einem aktuellen Beitrag auf LinkedIn schreibt das Haus: „Das BMAS nimmt 2025 am Work4Germany Fellowship des bundeseigenen DigitalService teil. Ziel: bürokratische Hürden frühzeitig erkennen und praxisnahe Gesetzgebung ermöglichen.“
In einem Praxischeck sollen unnötige Vorschriften identifiziert, geeignete Themen ausgewählt und digitale Unterstützungsangebote entwickelt werden – ein Schritt „hin zu einer Verwaltung, die nicht nur digital, sondern auch nutzerfreundlich ist“.
Auch intern betont das BMAS die positiven Effekte: Die Fellows seien „Impulsgeber, Wissensträger, Innovationstalente und Coaches“ und hätten geholfen, „agile Arbeitsweisen und Organisationsstrukturen in der Ministerialverwaltung“ zu erproben. Dass es sich dabei arbeitsrechtlich um klassische Leiharbeit handelt, bleibt in der öffentlichen Kommunikation hingegen unerwähnt
Spurlos gelöscht – kurz nach unserer Presseanfrage
Am 23. April 2025 baten wir das BMAS um Auskunft zu zehn ganz konkreten Punkten rund um das Fellowship-Programm Work4Germany. Zwei Wochen Reaktionszeit – bis 7. Mai 2025 – hielten wir für angemessen.
Parallel verschwand eine einschlägige Pressemitteilung („BMAS bei Work4Germany 2021“) von der Ministeriums-Website, der Link führte plötzlich nur noch zu einer Fehlerseite. Wer die Seite sehen will, muss heute im Google-Cache blättern.
Da lediglich eine allgemeine Stellungnahme einging, die unsere Fragen unbeantwortet ließ, boten wir am 7. Mai in einer höflichen Reminder-Mail („Fortführung unserer Presseanfrage … Bitte um detaillierte Antworten bis 16. Mai 2025 … Angebot eines Telefonats“) sogar eine Fristverlängerung an und stellten uns telefonisch zur Verfügung.
In diesem Zusammenhang wiesen wir auch ausdrücklich auf ein auffälliges Detail hin:
Da das Verschwinden einer thematisch einschlägigen Pressemitteilung in zeitlicher Nähe zu unserer Anfrage Fragen aufwirft, möchten wir das Thema gerne offen ansprechen. Zusätzlich führt auch eine einfache Suchanfrage nach „Work4Germany“ auf der Website des BMAS zu keinerlei Ergebnissen mehr; dies trotz mehrjähriger Beteiligung Ihres Hauses an dem Programm.
Eine Sprecherin des Ministeriums antwortete knapp – und erklärte die Angelegenheit für „abschließend beantwortet“.
Mit unserer Antwort vom vergangenen Mittwoch [7. Mai 2025] haben wir Ihre Anfrage aus unserer Sicht abschließend beantwortet.
Pressesprecherin des BMAS, 9. Mai 2025
Seit dem 6. Mai 2025 steht nicht mehr Hubertus Heil, sondern Bärbel Bas an der Spitze des Hauses. Ein politischer Neustart – aber die neue Ressortchefin übernimmt eine Baustelle, die ihr Vorgänger hinterlässt: Ungeklärte Arbeits- und Tariffragen bei einem Programm, das sich selbst als Innovationsvorreiter verkauft.
Fellowship als Euphemismus für Leiharbeit
Work4Germany, getragen von der bundeseigenen DigitalService GmbH, will „Innovationstalente“ aus privater Wirtschaft und Non-Profit-Sektor sechs Monate lang in Bundesministerien schicken. Die Fellows erhalten eine monatliche Vergütung von rund 5.400 Euro brutto, sind beim DigitalService befristet angestellt und werden anschließend auf Grundlage des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (AÜG) an die Behörden verliehen – klassischer Leiharbeitnehmerstatus.
In der offiziellen Selbstbeschreibung liest sich das so:
Wir haben uns dafür entschieden, die Fellows beim DigitalService befristet anzustellen und im Rahmen einer Arbeitnehmerüberlassung nach dem AÜG in den jeweiligen Bundesministerien einzusetzen.
DigitalService-Blogbeitrag „Das Rechtskonstrukt hinter Work4Germany“
Wer jedoch die Social-Media-Auftritte des BMAS sichtet, stößt auf eine andere Wortwahl: Dort ist von „Fellows“ die Rede – das Wort Leiharbeitnehmer fällt nicht. Der DigitalService wiederum beschreibt die Teilnehmenden als „Expert:innen“ oder „Innovationstreiber:innen“. Eine unserer Fragen an das BMAS lautete daher:
Frage 1: Warum vermeidet das BMAS in seinen LinkedIn-Beiträgen und der öffentlichen Kommunikation die rechtliche Bezeichnung „Leiharbeitnehmer“, obwohl die Fellows laut DigitalService GmbH im Rahmen einer regulären Arbeitnehmerüberlassung tätig sind?
Während der Begriff „Fellowship“ öffentlich positiv aufgeladen wird, lohnt sich ein kritischer Blick auf die internationale Herkunft – und was davon in Berlin übrig bleibt.
Blick über den Tellerrand – und die Grenzen des Vergleichs
Im DigitalService-Blog heißt es selbstbewusst: „Andere Länder, wie zum Beispiel die USA mit den ‚Presidential Innovation Fellows‘, nutzen bereits seit Jahren die Begriffe Fellow und Fellowship ganz konkret für den Wissenstransfer zwischen Privat- und öffentlichem Sektor.“ Der Verweis auf Washington soll suggerieren, Deutschland ziehe lediglich nach. Doch der Vergleich hinkt an einer entscheidenden Stelle: In den Vereinigten Staaten führen die Fellow-Programme seit Jahren zu dauerhaften Verankerungen von Digitalexpertise in den Behörden – bis hin zu fest budgetierten „Innovation Units“.
In Berlin dagegen wird das Modell seit 2020 immer wieder neu aufgelegt, ohne dass ein strukturelles Pendant entsteht. Selbst der DigitalService räumt ein, man habe die Konstruktion ursprünglich nur „für die Dauer des Fellowships“ konzipiert und müsse die Überlassungserlaubnis jährlich bei der Agentur für Arbeit verlängern. Der temporäre Charakter ist also keine Tugend, sondern ein Zugeständnis an arbeitsrechtliche Hürden. Ironischerweise bleibt damit ausgerechnet jenes Ministerium, das in Deutschland über faire Arbeitsbedingungen wacht, hinter dem amerikanischen Beispiel zurück, das vom DigitalService als Inspirationsquelle angeführt wird.
Tarifdschungel ohne Wegweiser
Der DigitalService verspricht seinen Fellows Bedingungen „nach TVöD“. Doch ca. 5.400 Euro brutto liegt je nach Erfahrungsstufe irgendwo zwischen Entgeltgruppe 12 und 14. Wir wollten wissen, auf welcher Stellenbewertung die BMAS-Einstufung basiert:
Frage 2a: Welcher konkreten Entgeltgruppe des TVöD Bund entspricht diese Vergütung beim BMAS und auf welcher Stellenbewertung basiert diese Eingruppierung?
Frage 2b: Werden Fellows tatsächlich entsprechend dem TVöD Bund eingruppiert, oder liegt eine tarifliche Über- oder Untergehung vor?
Equal Pay – die Neun-Monats-Schwelle als Hebel
Arbeitnehmerüberlassung ist keineswegs anrüchig, sofern sie gesetzeskonform stattfindet. Ein zentraler Punkt ist Equal Pay nach neun Monaten (§ 8 Abs. 4 AÜG). Tarifverträge können Abweichungen vorsehen. Das Fellowship dauert offiziell sechs Monate; wird es verlängert, kratzt man schnell an der Schwelle. Wir fragten daher:
Frage 3: Warum wird die Einsatzdauer der Fellows regelmäßig unter der gesetzlichen Grenze von 9 Monaten gehalten, ab der ein Anspruch auf Equal Pay besteht?
Statt einer konkreten Erläuterung zitiert die BMAS Pressestelle pauschal, „die gesetzlichen Regelungen der Arbeitnehmerüberlassung werden eingehalten“. Tarifliche Details? Keine.
Dabei gibt es Anhaltspunkte, dass zumindest einzelne Fellows länger als einmal im Ministerium tätig werden. Ein und derselbe Fellow taucht in zwei Projekten hintereinander auf – beide im Justiziariat des BMAS (Projekt 1, Projekt 2). Wiederholungseinsatz kann Sachgrund für eine Planstelle sein; er kann aber auch ein Indiz dafür sein, dass Equal Pay unterlaufen wird, indem man jeweils bei null beginnt.
Transparenzdefizit als Programmbremse
Transparenz verlöre kaum Gesicht, sie könnte sogar Vertrauen schaffen. Einfache Publikationstabellen: Welche Fellows, wann, wie lange, auf welcher Tarifstufe, mit welchem Ergebnis? – würden Mutmaßungen entkräften. Das BMAS setzt stattdessen auf digitale Amnesie: Entfernen, Verweisen, Abwiegeln.
Wer nachfragt, erhält Textbausteine über „interdisziplinären Wissenstransfer“ und „Erprobung agiler Arbeitsweisen“. Auf konkrete Rückfragen heißt es lapidar, „die Anfrage sei abschließend beantwortet“. Eine Ministerin, die ihr Amt erst seit wenigen Tagen innehat, bekäme hier die Chance, das Blatt zu wenden. Doch das Ressort schweigt weiter – damit wird unsere Deadline 16. Mai 2025 faktisch obsolet.
Akten unter Verschluss
Die DigitalService GmbH erklärt, jedes Ministerium müsse seine Personalräte an der Überlassung beteiligen; die Agentur für Arbeit prüfe jährlich die Einhaltung der AÜG-Bedingungen. Klingt ordentlich – doch Einsicht in Protokolle gewährt das BMAS nicht.
Dasselbe gilt für die Kosten: Wir fragten nach den jährlichen Gesamtausgaben für Work4Germany im BMAS. Keine Zahl, kein Bandbreitenhinweis. Dabei handelt es sich um Steuergeld – ein einfaches „Wir haben keine Beanstandungen“ würde bereits genügen, um Gerüchte zu entkräften.
Innovation oder Rotationsfalle?
Agile Coaches, Flexi-Teams, Transformationsnetzwerke – der DigitalService verweist gerne auf interne Initiativen, die aus dem Fellowship entstanden seien. Doch solange der Kern des Know-hows alle sechs Monate aus- und wieder einschwebt, droht eine Rotationsfalle: Experten kommen, pilotieren, gehen; danach beginnt die nächste Runde.
Ein nachhaltiger Weg wäre, diejenigen Fellows, die sich bewähren, ins BMAS zu holen – Planstellen, nicht Projektjobs. Eine unserer Fragen zielte genau darauf:
Frage 7: Warum schreibt das BMAS trotz wiederholter Teilnahme am Fellowship-Programm keine dauerhaften Planstellen für vergleichbare Positionen aus, obwohl kontinuierlich Know-how benötigt wird?
Eine Antwort erhalten wir nicht, ebenso wenig wie auf all unsere anderen Fragen.
Juristische Einschätzung: Der Rechtsrahmen wackelt
Auch juristisch stößt das Konstrukt auf Skepsis. Ein Arbeitsrechtler einer internationalen Wirtschaftskanzlei, dem wir unsere Korrespondenz mit dem BMAS zur vertraulichen Einschätzung vorlegten, urteilt deutlich:
Das BMAS unter Heil, bekanntermaßen kein Freund der Arbeitnehmerüberlassung, bedient sich dieser ‚prekären Arbeitsform‘, indem Freelancer in diese ‚gezwungen‘ werden, und hüllt nun den Deckmantel des Schweigens über diese Art des Fremdpersonaleinsatzes – m.E. ein Unding.
Die Formulierung verweist auf einen zentralen Widerspruch: Ein Ministerium, das bundesweit für faire Beschäftigungsbedingungen eintritt, nutzt ausgerechnet ein Modell, das es selbst regelmäßig als problematisch darstellt.
Ein Ministerium im Zwiespalt
Das BMAS sitzt in einer klassischen Sandwich-Position: Es will modernisieren und gleichzeitig arbeitsrechtliches Vorbild sein. Leiharbeit gilt in Bas’ Partei traditionell als sensibles Thema. Doch anstatt die Chance zu nutzen, den Königsweg – transparente, faire Überlassung – zu demonstrieren, vermeidet die öffentliche Auseinandersetzung.
Bei den Einsätzen der Fellows kommt das BMAS den arbeits- und arbeitsschutzrechtlichen sowie allen weiteren einschlägigen gesetzlichen Verpflichtungen im vollen Umfang nach.
BMAS Pressestelle in ihrer Sammelantwort vom 7. Mai 2025
Der freundliche Ton nützt – wenn er gehört wird
Manche Ministerien beklagen, investigativer Journalismus sei zu konfrontativ. Unsere Redaktion bemühte sich bewusst um das Gegenteil: Wir verlängerten die Frist und signalisierten Gesprächsbereitschaft. Selbst das Angebot eines Telefonats blieb ohne Reaktion. Die Behörde nutzte nicht einmal die Einladung, offene Punkte wenigstens teilweise zu adressieren.
Damit ist klar: Eine weitere Antwort wird nicht kommen. Die Frist zum 16. Mai 2025 war ein Entgegenkommen, keine juristische Pflicht – und sie verfällt. Zurück bleibt der fade Beigeschmack, dass ein innovationsfreudiges Ministerium bei kritischen Nachfragen abrupt zumacht.
Was jetzt auf dem Spiel steht
- Vorbildfunktion: Wenn das BMAS sich bei Tarifthemen in Schweigen hüllt, wie sollen sich mittelständische Arbeitgeber an Norm und Geist des AÜG orientieren?
- Reputation des Programms: Work4Germany will ein Leuchtturm sein. Intransparenz im Arbeitsschutz wirft Schatten auf alle beteiligten Ressorts.
- Effizienz öffentlicher Mittel: Ohne Zahlen bleibt offen, ob das Fellowship günstiger oder teurer ist als reguläre Neueinstellungen.
- Fachkräftestrategie: Der Staat sucht Digitaltalente. Zeigt er, dass Engagement nach sechs Monaten endet, ohne Perspektive, weckt er Zweifel an seiner Arbeitgeber-Attraktivität.
Ein Katalog möglicher Abhilfe
- Offenlegung der Tarifeinstufungen (Entgeltgruppe, Erfahrungsstufe, Sonderzahlungen)
- Publikation jährlicher Kosten pro Fellowship-Jahrgang und Ministerium
- Planstellenroute für wiederkehrende Schlüsselprofile
- Externer Evaluationsbericht nach drei Jahrgängen, öffentlich zugänglich
Keiner dieser Schritte ist revolutionär – doch jeder einzelne wäre ein Lehrstück in moderner Verwaltungskultur.
Transparenz kostet weniger als Vertrauen
Die Geschichte der Work4Germany-Fellows im BMAS reicht bis ins Jahr 2020 zurück – und sie zeigt bereits ein klares Muster: Trendbegriffe („Fellowship“) überdecken handfeste Arbeitsrechtsfragen; Kritik führt nicht zum Dialog, sondern zur Depublikation. An der Spitze steht nun Ministerin Bärbel Bas. Sie könnte die Karten auf den Tisch legen – oder das Schweigen fortführen.
Gerade weil das Projekt eigentlich die Modernisierung der Verwaltung befördern soll, wäre das mutige Offenlegen der Zahlen, Regeln und Ergebnisse das konsequente Signal: Innovation und Transparenz sind keine Gegensätze – sie sind zwei Seiten derselben Medaille.
Die Presseanfrage, so viel ist klar, bleibt bis auf Weiteres unbeantwortet. Doch solange offene Fragen im Raum stehen, wird das Thema nicht kleiner – es wächst.